Qualifikationen vs. Kompetenzen – Worin liegt der Unterschied?

Qualifikationen vs. Kompetenzen – Worin liegt der Unterschied?

Der Wandel von einer Industrie- hin zu einer modernen Wissensgesellschaft hat die Anforderungen an die Berufstätigen verändert. Die Zeiten des Fordismus und Taylorismus neigen sich dem Ende zu. Monotone Betriebsabläufe werden zunehmend von Robotern übernommen, während der Mensch sich mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert sieht. Um diese bewältigen zu können, kommt es mittlerweile weniger auf Qualifikationen, als vielmehr auf Kompetenzen an. Doch worin genau liegt eigentlich der Unterschied? 

Als die Arbeitsabläufe in Organisationen, insbesondere in Industrieunternehmen, noch weitestgehend standardisiert waren, schauten Personalverantwortliche vor allem auf die Qualifikationen von Stellenbewerbern. Also auf formale Abschlüsse, die einen Wissensstand nach vorgegebenen Normen bescheinigen. Ein wohldefinierter Komplex von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, der durch Abschlussprüfungen nachgewiesen und bei Bestehen durch ein Zeugnis dokumentiert wird. Qualifikationen sind leicht zu greifen und problemlos nachprüfbar.

Qualifikationen

  • Formale Abschlüsse, die einen Wissensstandard nach vorgegebenen Normen bescheinigen
  • Komplexe von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die durch Abschlussprüfungen nachgewiesen und bei Bestehen durch Zeugnisse dokumentiert werden
  • Leicht zu greifen und problemlos nachprüfbar

“Qualifikationen sind nachweisbare Kenntnisse und Fertigkeiten”

Ob die reine Fokussierung auf berufliche Qualifikationen jemals wirklich sinnvoll war, sei dahingestellt. Praktiziert wurde dieses Vorgehen nicht zuletzt deshalb, weil es so schön einfach ist. Personaler definieren für jede Stelle Mindestqualifikationen. Schon der Auszubildende kann diejenigen Bewerbungen aussortieren, die den bürokratischen Anforderungen nicht gerecht werden. Der Auswahlprozess geht schnell von der Hand, wenngleich Bewerber, die zwar nicht die formalen Voraussetzungen erfüllen, aber vielleicht doch gut auf die Stelle passen würden, aus dem Raster fallen.

Die Globalisierung und insbesondere die Digitalisierung haben bereits zu fundamentalen Veränderungen in der Wirtschaftswelt geführt und werden diese weiter umkrempeln. In einem Ausmaß, das wir allenfalls erahnen können. Das Humankapital ist schon heute der wichtigste Wachstumstreiber und macht einen immer größeren Anteil am Gesamtkapital der Unternehmen aus. Der Marktwert eines modernen Unternehmens bemisst sich folglich nicht mehr nur nach materiellen oder finanziellen Gesichtspunkten wie dem Anlagevermögen oder dem Eigenkapital. Unsichtbare Werte wie das Wissenskapital spielen bei der Wertermittlung eine immer wichtigere Rolle.

Kompetenzen machen das Humankapital so wertvoll

Das heute so wichtige Humankapital wird durch Wissen, Erfahrungen und Fertigkeiten, durch Motivationen, Verhaltensbereitschaften und Werte sowie durch Anpassungs-, Innovations- und Umsetzungsfähigkeiten gekennzeichnet. Also durch fachlich-methodische, personale, sozial-kommunikative sowie aktivitäts- und handlungsbezogene Kompetenzen. Genau diese Kompetenzen sind es, die Mitarbeiter dazu befähigen, Leistungen zu erbringen und Produkte zu schaffen, die einen echten Mehrwert bieten und sich folglich auch in einen Wettbewerbsvorteil ummünzen lassen.

Die Kompetenzentwicklung ist eine der dringlichsten, wenn nicht sogar die dringlichste Aufgabe des Personalmanagements. Denn Kompetenzen machen Mitarbeiter und Organisationen fit für die Herausforderungen der Zukunft, die aus neuen, offenen, komplexen und dynamischen (Problem-)Situationen bestehen. Dank ihrer Kompetenzen sind Mitarbeiter in der Lage in solchen Situationen mit unsicherem Ausgang sicher und selbstorganisiert zu handeln. Deshalb wird bei Kompetenzen auch von Selbstorganisationsdispositionen gesprochen.

Kompetenzen

  • schließen Fertigkeiten, Wissen und Qualifikaitonen ein, lassen sich aber nicht darauf reduzieren
  • gehen unmittelbar vom beobachtbaren und beschreibbaren Handeln der Menschen aus
  • Handlungsvoraussetzungen, also grundlegende Fähigkeiten, sich in neuen, offenen, unüberschaubaren, dynamischen Situationen zurecht zu finden und aktiv zu handeln
  • Fähigkeiten, selbstorganisiert zu denken und zu handeln

Selbstorganisiertes Denken und Handeln rückt in den Mittelpunkt

Selbstorganisationsdispositionen sind eine entscheidende Voraussetzung für die Beschäftigungsfähigkeit von Menschen. Nur Organisationen, die über Personal verfügen, das in der Lage ist selbstorganisiert zu denken und zu handeln, werden im Kompetenzkampf der Zukunft nicht abgehängt. Denn nur diese Organisationen bringen die nötige Flexibilität und Innovationsfähigkeit auf, um das Überleben und den Erfolg der Organisation zu sichern.

Was wissenschaftlich schon längst Konsens ist, ist auch bei einem Großteil der Unternehmen angekommen. In rund 90 Prozent der deutschen Großunternehmen existieren bereits Kompetenzmodelle. Sie alle haben ihre Anstrengungen zur Ermittlung und Entwicklung von Kompetenzen in den letzten Jahren deutlich intensiviert. Viele sehen in dem Kompetenzstand ihrer Mitarbeiter den wichtigsten Wettbewerbsfaktor unserer Zeit. Gleichzeitig müssen die Unternehmen zur Kenntnis nehmen, dass es immer schwieriger wird, geeignetes Personal zu finden. Kompetenzen und Kompetenzpotenziale schon bei der Personalauswahl zu diagnostizieren ist möglich, aber aufgrund des Mangels an Bewerbern allein nicht ausreichend.

Kompetenzentwicklung als Unternehmensaufgabe

Stattdessen nimmt die Personalentwicklung eine zentrale Rolle ein und muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit das vorhandene Personal seine Kompetenzen im betrieblichen Umfeld gezielt entwickeln kann. Corporate Learning muss zu einem Bestandteil der Unternehmenskultur werden. Genauso wie Betriebe von ihren Arbeitnehmern lebenslanges Lernen erwarten, müssen sich Unternehmen als lernende Organisationen begreifen. Kompetenzen nehmen dabei eine zentrale Stellung ein, weil “Fachidioten” immer weniger gefragt sind.

Das bedeutet allerdings nicht, dass fachliche und methodische Voraussetzungen abnehmen oder gar nicht mehr beachtet werden. Sie gelten vielmehr als selbstverständlich. Das beim Erwerb einer Qualifikation gelernt – ganz gleich ob es sich um eine lehr- und vermittelbare Qualifikation wie eine Fremdsprache, oder eine direkt förderbare Qualifikation handelt – wird zum Teil der Persönlichkeit und beeinflusst dadurch auch die Kompetenzen des Individuums. Sowohl Qualifikationen als auch Kompetenzen beeinflussen letztlich das Ergebnis.

So kritisch das typische Vorratslernen auch zu sehen ist – Wissen spielt nach wie vor eine zentrale Rolle. In Kombination mit Fähigkeiten und Fertigkeiten wird Wissen zur Kompetenz, die in unterschiedlichen Kontexten und Situationen selbstgesteuert zur Aufgaben- und Problemlösung herangezogen wird. Im Gegensatz zu Qualifikationen sind Kompetenzen nicht einfach zu evaluieren. Stattdessen zeigen sich Kompetenzen durch den Umgang mit realen, nicht genormten Situationen. Letztlich ist es nicht mehr wichtig wo und wie man gelernt hat, sondern was man gelernt hat.

Kompetenzen diagnostizieren und entwickeln

Auch wenn Kompetenzen nicht so leicht zu ermitteln sind wie die von Institutionen schwarz auf weiß bescheinigten Qualifikationen, lassen sie sich durchaus diagnostizieren. KODE® hat dafür ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren entwickelt, das mit Selbst- und Fremdeinschätzungen arbeitet. Der KODE® KompetenzAtlas umfasst 64 definierte Teilkompetenzen, die als grundlegende Dispositionen dienen. Sie unterteilen sich in personale Kompetenzen (z. B. Einsatzbereitschaft, schöpferische Fähigkeit, Zuverlässigkeit), aktivitäts- und handlungsbezogene Kompetenzen (z. B. Entscheidungsfähigkeit, Mobilität, Initiative), sozial-kommunikative Kompetenzen (z. B. Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Beziehungsmanagement) sowie fachlich-methodische Kompetenzen (z. B. Expertise, Marktorientierung, Lernfähigkeit).

In der Regel wird davon ausgegangen, dass Erziehung und Ausbildung gewisse Basiskompetenzen vermitteln, die im Beruf vertieft werden. Folglich sind Kompetenzen etwas sehr Individuelles. Jede Person hat andere Stärken und Schwächen. Selbst dann, wenn zwei Menschen dieselbe Berufsausbildung oder dasselbe Studium absolviert haben. Auch Talente spiegeln sich in den Kompetenzen wieder. Genauso wie ein Mensch sein ganzes Leben Qualifikationen erwerben kann, kann er jederzeit seine Kompetenzen trainieren.

Kompetenzen beeinflussen den Unternehmenswert

Qualifikationen bescheinigen Fertigkeiten und Wissen. Kompetenzen sind hingegen vielmehr die Fähigkeiten, Möglichkeiten und Bereitschaften, dass durch eine Qualifikation erworbene Fachwissen auf der Mitarbeiter-, Team- und Organisationsebene in künftige Vorhaben kreativ einzubringen. Es ist demnach nicht verwunderlich, dass Kompetenzen als elementarer Erfolgsfaktor laut der Europäischen Kommission und dem Europäischen Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (CEDEFOP) heute in allen wichtigen Industriestaaten der Welt beachtet, gemessen und gefördert werden.

Da der Konkurrenzkampf der Zukunft ein Kompetenzkampf ist, ist es nur folgerichtig, dass die Kompetenzen von Mitarbeitern, Teams und der gesamten Organisation in die Unternehmensbewertung mit einfließen. So ist beispielsweise das International Accounting Standard Committee (IASC) bestrebt, einen die Kompetenzen berücksichtigenden “International Accounting Standard on Intangible Assets” für die Kapitalbewertung börsennotierter Unternehmen verbindlich zu machen.

Qualifikationen verlieren an Bedeutung, Kompetenzen sind unverzichtbar

Auch wenn Qualifikationen und Kompetenzen zwei völlig verschiedene Bedeutungen haben, bedingen sie sich vielmals. Die heute und für die Zukunft so wichtigen Kompetenzen basieren in der Realität vielfach auf Qualifikationen wie einem Studienabschluss. Auch wenn der Mensch natürlich auch ohne formales Zeugnis über Kompetenzen verfügen kann. Als Selbstorganisationsdispositionen sind die Kompetenzen der entscheidende Schlüssel für ein zukunftsorientiertes und wettbewerbsfähiges Unternehmen. Auch wenn Kompetenzen schwerer zu ermitteln sind als Qualifikationen, und im beruflichen Umfeld zudem die Möglichkeit zur Kompetenzentwicklung geben werden muss, lohnt sich der Aufwand. Der Kompetenzkampf ist längst eröffnet.

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