Zukunftsforscher Peter Spiegel über Social Innovations

Zukunftsforscher Peter Spiegel über Social Innovations

Peter Spiegel hat eine inspirierende Rede zur Rolle des neuen WeQ-Paradigmas für die künftige Bedeutung von Schlüsselkompetenzen und die Transformation in eine Weconomy gehalten. Im Interview mit Matthias Koprek erklärt der Zukunftsforscher, was Social Innovations sind und warum sie so wichtig sind.

Herr Spiegel, Ihr Thema sind Social Innovations. Können Sie uns erklären, was soziale Innovationen genau sind und wie sich diese von digitalen Innovationen unterscheiden?

Eine soziale Innovation ist eine Art von Innovation, die aus einer bestimmten Motivation hervorkommt. Nämlich wirklich etwas zu tun, dass die Menschen – auch jene die von der Gesellschaft abgehängt sind oder sich so fühlen – gestärkt werden und ein ganz anderes Selbstbewusstsein bekommen. Eine stärkere Rolle zur Bewältigung des eigenen Lebens. Zwei Beispiele, die man unter dem Innovationsbegriff normalerweise nicht zusammenbringen würde, machen das deutlich.

In Bangladesch hat Muhammad Yunus, Friedensnobelpreisträger, die Idee von Kleinstkrediten für die Ärmsten gehabt. Er hat das Bankenprinzip auf den Kopf gestellt. Bei seiner Bank bekommen nur Menschen einen Kredit, die nachweisen können, dass sie keine Sicherheiten haben. Bei uns bekommt keiner einen Kredit, der keine Sicherheiten hat. Es ist ein Bankensystem entstanden, das tadellos funktioniert. Die Ambition dabei war Menschen aus der Armut zu helfen. Das hat wunderbar funktioniert.

Ein anderes Beispiel ist Wikipedia. Da war die soziale Idee Menschen den Zugang zum Brockhaus zu geben, ohne dass sie dafür tausende von Euro bezahlen müssen. Plus viele andere Vorteile, wie das Weltlexikon jederzeit in der Hosentasche dabei zu haben.

Von dieser neuen Art von Innovationen gibt es tausende. Digitale, technische aber auch welche die völlig frei von Technik sind. Sozialtechniken und Design Thinking zum Beispiel. Die Genossenschaftsidee war auch mal eine soziale Innovation.

Sie haben über 200 solcher Innovationen untersucht und beobachtet. Welche davon hat Sie am meisten fasziniert, bewegt, inspiriert?

Immer die nächste, die ich entdecke (lacht). Es ist einfach so faszinierend, auf was für verrückte Ideen man da kommen kann. In Kolumbien gibt es ein vollkommen neues Bildungssystem. Die haben alles infrage gestellt. Aus einem ganz einfachen Grund: Weil sie mussten.

In halb Kolumbien herrschte über Jahrzehnte Terrorismus. Ein riesiges Problem. Deshalb ist kein Lehrer in die betroffenen Regionen gegangen und die meisten Lehrer sind auch nicht dortgeblieben. Kolumbien war ein fast lehrerfreies Land. Größer als Deutschland und es gab einfach keine Lehrer. Die mussten Bildung sowas von neu denken. Nachdem das Kultusministerium Änderungen am Bildungssystem vorgenommen hat, stellten sie fest, dass diese Zurückgebliebenen – im doppelten Wortsinne – den staatlichen Schülern im Durchschnitt um eineinhalb Jahren voraus waren. Wenn man neu denkt, kommt man auf fantastische Ideen. Unglaublich!

Wir müssen uns als erstes Mal vom Wissen befreien. Wissen ist eine schöne und gleichzeitig eine ganz schreckliche Sache. Je mehr Wissen wir erwerben, desto mehr meinen wir, das ist jetzt DAS Wissen. Um diese Wissensschätze bauen wir eine Mauer und verlieren die Fähigkeit, anders zu denken. Wir merken gar nicht, dass die Zeit voranschreitet und man an Themen und Probleme ganz anders herangehen kann, so wie Muhammad Yunus. Einfach mal alles auf den Kopf stellen und schauen, was dabei rauskommt. So radikal geht es.

Sie sagen, der Grund dafür, dass wir im Moment so viele soziale Innovationen haben, liegt am Bedürfnis nach mehr Gemeinwohlorientierung. Woran machen Sie das fest? Trifft das wirklich auf alle Bereiche der Gesellschaft zu?

Dieses Bedürfnis gibt es in allen Schichten der Gesellschaft. Das ist überhaupt nicht mehr auf die sogenannte Gutmenschenwelt beschränkt. Aber es ist gesellschaftlich noch nicht ganz durch. Offensichtlich nicht, wenn man sich die AfD und die tägliche Zeitung anschaut.

Wir leiden unter diesem aberwitzigen Unsinn, dass nur Konkurrenz uns voranbringt. Es gibt Menschen, die haben die gesamte Evolutionsgeschichte nicht nur beim Menschen, sondern auch in der Tierwelt beschrieben. Genau aus dem anderen Blickwinkel. Sie beweisen, dass Evolution nur durch Kollaboration stattfindet. Das ist der ganz große Treiber. Aber uns wurde immer eingeimpft, dass es Wettbewerb geben muss und so weiter. Das ist Schwachsinn, kompletter Humbug.

In Konkurrenzsituationen kann ich mir einen Vorteil verschaffen – keine Frage. Aber wenn gleichzeitig eine Kultur da ist, eine Gruppe von Menschen, die zusammenarbeitet, lernt mit ihren Fehlern umzugehen, dann können Sie mal vergleichen, wer weiterkommt. Es sind die kollaborationsorientierten Menschen. Geniale Menschen können Leistungen sehr wohl auch im Konkurrenzmodus erbringen, aber sie kommen dann irgendwann an einen Endpunkt. Und je komplexer die Welt wird, desto mehr geht das Pendel in Richtung Gemeinwohlorientierung. Die ist eigentlich der neue Egoismus. Das ist der intelligente Egoismus. Der andere ist der dumme Egoismus.

Wir brauchen einen Übergang von der Economy zur Weconomy, sagen Sie, und haben Ihr Institut dementsprechend in WeQ umbenannt. Können Sie mir sagen, was der Begriff Weconomy bedeutet und wieso dieser Transformationsprozess so wichtig ist?

WeQ sind die Wir-Qualitäten, die wir lernen müssen. Vor allem die Kompetenzen, die ja auch KODE® im Blick hat. Da stimme ich voll mit KODE® überein. Das ist die Zukunft! Das muss auf allen Ebenen durchgezogen und umgesetzt werden, also auch in der Ökonomie.

Die Frage, wo die Macht heute ist, beantworten 100 Prozent aller Menschen gleich. Sie ist in der Wirtschaft. Wir können machen, zappeln und protestieren. Was immer wir wollen. Wenn die Wirtschaft sich nicht ändert, dann wird sich maximal etwas für uns individuell verändern oder für eine kleine Community. Aber nicht für die Gesellschaft, nicht für die Systeme und nicht für die Logik, wie Wirtschaft funktioniert. Also muss das Umdenken in der Wirtschaft stattfinden. Die kollaborative Intelligenz muss entwickelt werden. Die Kompetenzen die dafür notwendig sind, sind vor allem zwischenmenschlicher Natur.

Aber auch der Umgang mit der künstlichen Intelligenz muss gelernt werden. Mit künstlicher Intelligenz lassen sich in Zukunft eigentlich alle technologischen Entwicklungen vorantreiben. Jetzt stehen wir vor der Bedrohung, dass künstliche Intelligenz uns beherrschen könnte. Das wäre keine gute Entwicklung. Die kollaborative Entwicklung muss deshalb dahingehen, dass wir lernen wie wir mit Menschen besser zusammenarbeiten, aber eben auch wie wir mit der Technik gut umgehen, um die Regentschaft des Menschen über die Technik nicht zu verlieren.

In der Tat ist es so, dass in der Wirtschaft immer mehr Unternehmensführer sehen, dass nicht die digitalen Kompetenzen das wirklich entscheidende sind. Letztlich ist es der Spirit, das Zwischenmenschliche und dieses Kollaborative, das darüber entscheidet, wie innovativ und kreativ man mit der digitalen Welt umgehen kann und auch wie verantwortungsvoll. Das Silicon Valley hat Design Thinking entwickelt, also diese Methode kollaborative Innovationen zu entwickeln. Das ist das wichtigste Momentum der Innovationsentwicklung und die eigentliche Bedeutung des Silicon Valley. Die digitale Seite war nur das Technische daran.

Das heißt, wir müssen in Unternehmen heute quasi zwei Entwicklungsstränge verfolgen: Einerseits den digitalen, aber wir müssen auch die Kompetenzen der Menschen entwickeln, die die Weconomy schließlich leben müssen?

Wer angesichts des Zerfallens der politischen Steuerbarkeit und des Zerfalls der Gesellschaft immer noch nicht verstanden hat, dass auch die Wirtschaft keine Zukunft hat, wenn wir nicht radikal etwas ändern, ist verloren. Wenn wir nichts ändern, werden alle gesellschaftlichen Systeme kaputtgehen. Es gibt keine Zukunft für die Wirtschaft, wenn es keinen Planeten gibt, der den Menschen noch einen Lebensraum bietet. Wir müssen zuerst die ökologischen Probleme lösen. Wenn wir das nicht tun, ist alles vorbei. Deswegen ist es im doppelten Wortsinn notwendig und zwingend, dass wir jetzt die Gemeinwohlorientierung verstehen und dass das der intelligentere Weg ist für Innovationsentwicklung, für Mitarbeiterführung, für gesellschaftliche Problemlösungen, für alles. Das ist Weconomy!

Im Dezember veranstalteten Sie in Berlin eine Konferenz zum Thema Weconomy, bei der unter anderem auch Prof. Dr. Werner Sauter, KODE GmbH mitgewirkt hat. Um was ging es an diesem Tag?

Das Ziel war es, mit dieser Veranstaltung eine Erstpräsentation zu machen, mit der wir Förderer für die Weconomy-Initiative zu gewinnen. Das ist das Hauptziel war: Leute aus der Wirtschaft und aus allen anderen Bereichen, die eine wichtige Rolle spielen, können und wollen, zusammenkommen und die Idee mittragen.

Wir spüren ganz deutlich, dass es in allen Sektoren eine starke Offenheit für einen solchen Transformationsprozess gibt. Auch in der Wirtschaft. Gerade hier entwickelt sich dieser Prozess aktuell sehr schnell. In der Wirtschaft muss ja jedes Unternehmen überleben, was ein großer Druck ist. Die Unternehmen merken ja auch, dass die alten Methoden gefährdet sind. Da kommt irgendwo eine komische disruptive Innovation um die Ecke und plötzlich ist man als Audi und Mercedes in Konkurrenz mit einem Digitalunternehmen. Deswegen öffnet sich die Wirtschaft erstaunlich schnell. Schneller als andere Sektoren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview führte Matthias Koprek für KODE®.

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